Nun recht hastig lief Finjus die Straßen entlang, bis er von Weitem sein Geschäft sehen konnte. Gut... er würde hineingehen und abwarten. Doch vor der Tür- steht bereits jemand. Ein großer, breitschultriger Jemand, der jünger und kräftiger wirkt, als Finjus erwartet hat.
Einen Alpha hat sich Finjus immer weise vorgestellt, weise und alt, doch natürlich ist es nicht so. Zum Alpha wird ein Rudelmitglied,wenn es erfahren genug ist, das Rudel leiten und lenken kann und es gegen jegliche Gefahr schützt. So jemand muss jung und kräftig wirken.
Finjus verlangsamt seinen Schritt,während ihm der Alpha entgegenblickt, ihn neugierig mustert. Ganz ohne Überheblichkeit oder gar Feindseligkeit. Kurz deutet der Alpha auf Finjus´ Geschäft. "Schöner Laden... Finjus, oder? Ich bin Eric.", stellt sich der Alpha sogleich vor. Dieses Verhalten überrascht Finjus, hat er doch etwas ganz Anderes erwartet. Er nickt langsam auf seine Frage. "Ich habe das Geschäft übernommen... Von... jemandem...", erwiedert Finjus recht kleinlaut. "Da hattest du Glück.", meint der Alpha sofort und zieht ein kleines Fläschchen aus der Tasche seiner Kapuzenjacke. Sofort bleibt Finjus´ Blick an der beinahe farblosen Flüssigkeit hängen. "Hier ist es. Das wolltest du doch sehen. Und warum auch nicht? Ohne die Unterstützung des Rudels hätte mein Vorfahre das bestimmt nicht klauen können." Der Alpha- nein- Eric wirkt so freundlich in seinen Worten, dass Finjus nicht mehr glaubt,dass dieser Schlechtes im Sinn haben könnte. Er ist ein Alpha und die wollen doch ihrem Rudel nichts Böses. Vielleicht hätte er schon viel eher andere Werwölfe suchen sollen. "Es ist gestohlen?", erkundigt sich Finjus leise. "Natürlich.Es ist eine Erfindung der Vampire. Sie haben uns damals ein Mittel geschenkt, mit dem wir sie ganz einfach töten können. Alte,mächtige Vampire konnten wir töten, wenn wir ihnen nur dieses Zeug einflösten. Ein kleiner Biss reichte völlig aus, nur ein Schlag. Du weißt, wie schwach die Menschen sind,Finjus. Im Gegensatz zu uns,meine ich... In einer Vollmondnacht haben sie uns nichts entgegenzusetzen.", erzählt der Alpha nun. Finjus wird das Gespräch etwas unbehaglich. Es gefällt ihm nicht, wie der Ältere spricht. Von Vampiren... und selbst von Menschen. "Doch zum Glück sind diese Zeiten vorbei, nicht wahr? Keine offenen Kämpfe mehr. Und dieses Fläschchen hier ist nun nicht mehr als ein altes Artefakt, vollkommen unnütz und nur noch ein Erinnerungsstück.", lockert Eric das Gespräch dann wieder ein wenig auf. "Es gab offene Kämpfe? Zwischen Vampiren und...uns...", fragt Finjus und beantwortet sich die Frage, wer kämpfte, direkt selbst. "Und die Menschen...sie kämpften gegen beide Rassen. Wir schützten die Menschen und sie töteten trotzdem einige von uns. Doch... genug geplaudert, Finjus." Der Alpha sieht den Jüngeren nun direkt an,versucht seinen Blick einzufangen, obwohl dieser ihm immer wieder ausweichen wollte. Nein, Finjus traut ihm nicht- überhaupt nicht. "Wonach genau... riechst du, Finjus?", fragt ihn der Alpha dann direkt. "Ich rieche Schokolade, doch auch etwas Anderes. Etwas, das in Verbindung mit diesem Fläschchen hier steht,nicht wahr? Komm schon... du weißt,du musst es mir irgendwann sagen." Finjus hebt darauf kurz den Blick. Warum auch hatte er nicht geduscht,oder wenigstens ein Deo benutzt, bevor er losgegangen ist? "Ich...muss gar nichts. Ich gehöre nicht zu deinem Rudel.", mehr als ein Murmeln ist Finjus Antwort nicht und doch tritt der Alpha einen Schritt auf ihn zu. "Oh,doch, das tust du. Weil du in mein Revier gekommen bist. Du hast nur zwei Möglichkeiten: Entweder du gehörst zu uns, oder du bist gegen uns. Und in dem Fall wäre es das Klügste, wieder zu verschwinden. Aber ganz ehrlich, Finjus- wohin könntest du schon gehen? Zurück zu deinen Eltern, die nicht einmal versucht haben, dir vernünftig zu helfen? Die dich einfach weggesperrt haben und insgeheim froh waren,als du mit dem Mann hierher gingst? Oder zu deinem Bruder, der immer noch so wütend auf dich ist, weil eure Eltern ihn nur wegen dir fortschickten? Dabei hätte aus ihm wirklich etwas werden können, das weißt du. Er war klug,klüger als du und im Grunde ein netter Junge, bis ihn seine Eltern verstießen, ihn ohne eine Erklärung einfach fortschickten. Glaub mir, Finjus. Ich lüge dich nicht an. Ich kenne deine Gedanken,also soll es dir bei mir ganz ähnlich gehen. Also...? Wie lautet deine Entscheidung?" Finjus weiß, dass er jeden dieser Gedanken schon einmal gehabt hatte. Besonders an seinen Bruder denkt er oft in letzter Zeit. Was macht er jetzt wohl? Wo ist er? Geht es ihm besser? "Ich...kämpfe nicht gegen Vampire...", erwiedert Finjus leise. Keine direkte Antwort. Keine Entscheidung gegen das Rudel oder für die Vampire.Und doch- eine Aussage, die der Alpha verstand. "Das dachte ich mir... Du bist loyal... Und es ist dir ganz egal, dass sie ein Vampir ist... Du wirst auch nicht freiwillig gehen. Schade, dass es so enden muss...", Eric krempelt nun seine Ärmel hoch und stellt das Fläschchen hinter sich auf den Asphalt der Straße. Und noch ehe Finjus etwas tun kann, noch ehe er eine Antwort geben kann, verwandelt sich der Alpha. Lediglich ein kurzes Geräusch ist zu hören, ein Reißen, als die Kleidung zerreißt, ein Knacken, als Knochen verschoben werden und schließlich nur noch ein leises,drohendes Knurren.
Der Wolf blickt Finjus entgegen, ernst, streng und ungeheuer menschlich.
Verschwinde, sagte dieser Blick und auch die Stimme in ihm. Doch der Anblick, nein, der Geruch des anderen Wolfes bewirken etwas Anderes. Kein Fluchtreflex, sondern der Verteidigungsmechanismus setzt ein. Finjus tritt einen kleinen Schritt zurück,sein Blick fällt auf das Fläschchen, über welchem der Alpha steht. Wieder einmal meldet sich die Stimme in Finjus´ Kopf:
Hey, das ist meine Beute. Und wieder erklingen die Geräusche von zerreißender Kleidung, von brechenden, sich verschiebenden und wieder neu zusammenwachsenden Knochen und nun stehen sich zwei ausgewachsene Wölfe gegenüber, direkt auf London´s nächtlichen Straßen. Ein Wolf ist größer, wirkt älter als der Andere, welcher dem Älteren zuerst etwas scheu entgegenblickt.
Immer wieder huscht der Blick des jüngeren Wolfes zu dem Fläschchen. Der fragende Blick aber wird vom Älteren bemerkt und mit einem Grollen beantwortet. So stehen sie sich gegenüber und warten die Reaktion des Anderen ab. Einer muss sich nun rühren, muss entweder vor- oder zurücktreten. Diese Reaktion würde der Ausschlag für das sein, was in dieser Nacht noch passieren wird.